Keine reine Männersache

Viele Menschen glauben, dass die Bluterkrankheit reine Männersache ist. Das ist so nicht ganz richtig. Zwar tritt die Hämophilie in voller Ausprägung bis auf sehr wenige Ausnahmen nur bei Männern auf. Aber: Frauen können Hämophilie genetisch an ihre Kinder weitergeben. Der medizinische Fachbegriff dafür ist „Konduktorin“ – abgeleitet von lateinisch conducere („übertragen“). Auch wenn die meisten Konduktorinnen keine Beschwerden haben, ist ein Teil von ihnen von Blutgerinnungsproblemen im Ausmaß einer leichten Hämophilie betroffen.

Absolute Sicherheit bietet nur der Gentest

Wenn du wissen möchtest, ob du eine Konduktorin bist, hilft dir vielleicht im ersten Schritt diese Übersicht:

Eine Frau ist sicher eine Konduktorin,

  • wenn sie Tochter eines Vaters mit Hämophilie ist
  • wenn sie einen Sohn mit Hämophilie hat und mindestens ein weiteres Familienmitglied auch Hämophilie hat (ein Bruder, Großvater mütterlicherseits, Onkel, Neffe oder Cousin)
  • wenn sie einen Sohn mit Hämophilie hat und ein weiteres Familienmitglied bekannt ist, das Trägerin des Hämophilie-Gens ist (eine Mutter, Schwester, Großmutter mütterlicherseits, Tante, Nichte oder Cousine)
  • wenn sie zwei oder mehr Söhne mit Hämophilie hat

Eine Frau ist möglicherweise Konduktorin,

  • wenn sie einen Sohn mit Hämophilie hat, aber kein weiteres Familienmitglied Hämophilie hat oder Trägerin des Hämophilie-Gens ist
  • wenn bei einem Bruder, einem Onkel oder einem anderen männlichen Verwandten eine Hämophilie vorliegt
  • wenn bei der Mutter oder einer ihrer weiblichen Verwandten bereits eine Konduktorinnendiagnose gesichert wurde

Eine Frau ist keine Konduktorin,

  • wenn ihr leiblicher Vater gesund ist, aber männliche Verwandte des Vaters Hämophilie haben

Fest steht: Absolute Sicherheit bietet nur der Gentest. Wenn du den Verdacht hast, eine Konduktorin zu sein – zum Beispiel, weil es in deiner Familie Hämophilie gibt und du manchmal Blutgerinnungsbeschwerden hast – solltest du einen Spezialisten aufsuchen. Durch den Gentest können auch andere, seltene Blutgerinnungsstörungen ausgeschlossen werden, von denen Frauen betroffen sein können. Beispiele hierfür sind der Faktor VII-MangelThrombasthenie Glanzmann oder das Von-Willebrand-Syndrom. Alle wichtigen Informationen zur Vererbung der Hämophilie findest du in dem Artikel Hämophilie – Entstehung und Vererbung einfach erklärt.

Der richtige Zeitpunkt für einen Gentest

Wann der passende Moment für eine Mutationsanalyse gekommen ist, entscheidet jede Familie beziehungsweise jede Frau individuell. Denn DEN richtigen Zeitpunkt für einen Gentest gibt es nicht. Manche Eltern lassen bereits sehr früh überprüfen, ob bei ihrer Tochter eine verminderte Faktoraktivität aufgrund eines Genfehlers vorliegt. Auch weil das Kind so gegebenenfalls in medizinischen Notfällen optimal versorgt werden kann. Andere Eltern warten, bis ihre Tochter älter ist und mitbestimmen kann, ob sie ihren Status kennen möchte. Manche Konduktorinnen empfinden die Kenntnis, dass sie eine Krankheit in sich tragen, die sie an ihre Kinder weitergeben können, als belastend. Da man Wissen nicht ungeschehen machen kann, ist der Zeitpunkt für den Gentest eine persönliche Entscheidung.

Allerdings gibt es Situationen, in denen es aus medizinischer Sicht für die behandelnde Ärzte wichtig ist, zu wissen, ob eine Frau oder ein Mädchen Konduktorin ist. Das ist zum Beispiel bei Unfällen, bei einem operativen Eingriff oder bei einer Geburt der Fall. Besonders wenn bei einem Mädchen Blutgerinnungsbeschwerden auftreten, kann es deshalb sinnvoll sein, den Gentest schon in einem früheren Alter durchführen zu lassen.

Konduktorinnen können einen verminderten Faktorspiegel haben

Hämophilie wird über das X-Chromosom vererbt, auf dem die Informationen für die Gerinnungsfaktoren VIII und IX gespeichert sind. Ein Mann hat immer nur ein einziges X-Chromosom in seinen Zellen. Sind die Baupläne für die Gerinnungsfaktoren auf diesem Chromosom defekt, wirkt sich das auf seine Blutgerinnung voll aus. Eine Frau hat zwei X-Chromosomen in ihren Zellen. Die Informationen auf dem gesunden Chromosom reichen in der Regel aus, um eine gesunde Blutgerinnung aufrechtzuerhalten. Da der Körper aber nicht „weiß“, dass die Informationen auf einem Gen fehlerhaft sind, kann es sein, dass er auf genau diese defekten Informationen zurückgreift. Deshalb gibt es Frauen, die einen verminderten Faktorspiegel im Blut aufweisen. Der verursacht im Alltag zwar selten ernste Probleme, kann aber bei Unfällen und operativen Eingriffen behandlungsbedürftig werden.

Diese Symptome können Konduktorinnen haben

Typische Symptome eines verminderten Faktorspiegels bei Konduktorinnen sind

  • Blaue Flecke nach leichten Stößen
  • Starke und lang andauernde Monatsblutungen
  • Häufiges Nasenbluten
  • Vermehrte Blutungen nach zahnärztlichen Eingriffen
  • Starke Blutungen unter und nach der Geburt
  • Ausgeprägte Blutungen bei operativen Eingriffen

Im Zweifel an den Spezialisten wenden

Manchmal kann es passieren, dass Konduktorinnen, wenn sie von ihren Beschwerden berichten, von ihrem Umfeld nicht ernst genommen werden. Sogar beim Arztbesuch kann es passieren, dass die Symptome nicht richtig zugeordnet werden. Das liegt daran, dass viele Menschen nicht wissen, dass man als Trägerin der Hämophilie von Blutgerinnungsbeschwerden betroffen sein kann. Auch wenn solche Reaktionen verunsichernd wirken: Du kennst deinen Körper am besten. Im Zweifel und insbesondere vor einem operativen Eingriff ist es sinnvoll, wenn du einen Spezialisten aufsuchst.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Diese Medikamente haben sich für die Behandlung von Blutgerinnungsbeschwerden bei Konduktorinnen bewährt:

  • Tranexamsäure eignet sich bei kleineren Blutungen vor allem im Schleimhautbereich. Es gibt sie in Tabletten- oder Ampullenform und sie kann sowohl geschluckt als auch oberflächlich aufgetragen werden. Bei einer Thrombose oder einer Embolie in der Vergangenheit ist bei diesem Wirkstoff Vorsicht geboten.
  • Desmopressin (DDAVP) kann befristet, also für einige Tage, eingesetzt werden, um das Gerinnungspotential anzuheben. Es wirkt allerdings nicht bei allen Frauen gleich gut und sollte deshalb vor einem Eingriff unter ärztlicher Aufsicht getestet werden. DDAVP gibt es als Infusion oder Nasenspray. Das Medikament kann Nebenwirkungen wie Wassereinlagerungen, Bluthochdruck oder Kopfschmerzen verursachen, die vor der Anwendung mit deinem Arzt abgeklärt werden sollten.
  • Die Gabe von Gerinnungsfaktor-Konzentrat ermöglicht eine effektive, sichere und gut steuerbare Möglichkeit, um fehlenden Faktor zu ersetzen. Allerdings muss das Präparat gespritzt werden und die Therapie ist recht teuer. Für diese Art der Behandlung sollte man sich an ein spezialisiertes Gerinnungszentrum wenden.
  • Durch die Einnahme der Anti-Baby-Pille oder den Einsatz einer Hormonspirale kann man verstärkte Blutungen im Rahmen der Periodenblutung reduzieren.

Checkliste Operation/Geburt/Unfall

Diese Punkte solltest du als Konduktorin vor einer Operation, einer Geburt oder als Vorsorge für den Fall eines Unfalls beachten:

  • Führe einen Notfallausweis mit den wichtigen Informationen zu deinem Status mit dir.
  • Führe insbesondere vor medizinischen Eingriffen eine aktuelle Gerinnungsuntersuchung durch.
  • Stelle sicher, dass vor einem Eingriff oder einer Geburt eine konkrete Empfehlung des betreuenden Hämostaseologen vorliegt.
  • Kläre, ob das aufnehmende Krankhaus den Gerinnungsfaktor – falls erforderlich – bereitstellen kann.
  • Informiere den Arzt im Krankenhaus unbedingt über Gegenanzeigen für bestimmte Medikamente, zum Beispiel wenn du eine Minirin-Unverträglichkeit hast.
  • Kläre vorab, ob das Krankenhaus spezielle Gerinnungsfaktoruntersuchungen durchführen kann (zum Bespiel Faktor VIII und Faktor IX).
  • Stelle sicher, dass nach der Entlassung aus dem Krankenhaus die weiterführende Behandlung mit Gerinnungspräparaten geregelt ist (falls notwendig).

Weiterführende Informationen zum Thema Schwangerschaft und Geburt erhältst du in dem Artikel Als Konduktorin Kinder bekommen.
 


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