Was ist angeborene Hämophilie?

Angeborene Hämophilie ist eine Blutgerinnungsstörung, bei der im menschlichen Körper meistens die Gerinnungsfaktoren VIII (8) oder IX (9) fehlen. Durch Mutation der Gene, die für die Bildung von Gerinnungsfaktoren verantwortlich sind, werden diese in zu geringer Konzentration oder gar nicht gebildet. Dies führt zu einem gestörten Gerinnungsprozess und erhöhter Blutungsneigung.

Die angeborene Hämophilie tritt am häufigsten in zwei Formen auf: Der Mangel an Gerinnungsfaktor VIII (kurz: FVIII) wird als Hämophilie A bezeichnet, der Mangel an Gerinnungsfaktor IX (kurz: FIX) als Hämophilie B.

Hämophilie ist eine genetisch bedingte Erkrankung, die lebenslang besteht.

Blutgerinnung und Immunsystem – die beiden Helden bei Verletzungen der Blutgefäße

Der menschliche Körper setzt sich aus Organsystemen zusammen. Vergleichbar mit unterschiedlichen Abteilungen in einem Unternehmen, müssen auch die Systeme in unserem Körper aufeinander abgestimmt sein. Damit alles reibungslos funktioniert, kommt es in vielen Fällen auf die Zusammenarbeit an. Egal, ob im Körper oder im Unternehmen. Auf jeden Fall dürfen die Beteiligten sich nicht gegenseitig behindern oder gar gegeneinander arbeiten.

Zwei solcher Systeme im Körper sind die Blutgerinnung und das Immunsystem. Verletzt man sich, werden beide aktiv. Das Immunsystem ist die Abteilung für Sicherheit: Es zerstört alles, was nicht zum eigenen Körper gehört. Es bildet Antikörper, mit denen Krankheitserreger ausgeschaltet werden, die in die Wunde eindringen. Das Blutgerinnungssystem sorgt dafür, dass die Wunde verschlossen wird. Dafür verantwortlich sind die Blutplättchen (Thrombozyten) sowie verschiedene Eiweiße, die sogenannten Gerinnungsfaktoren. Diese werden mit römischen Zahlen von I bis XIII bezeichnet.

Die Gerinnungskaskade

Die Gerinnungsfaktoren sind immer da, werden jedoch erst bei Bedarf aktiv. Stark vereinfacht kann man sagen, dass sie wie eine Reihe Dominosteine hintereinander aufgereiht sind. Die Zerstörung der Gefäßwand, also die Wunde, tippt den ersten Stein an. Ab dann kippt ein Stein nach dem anderen – daher spricht man auch von einer Gerinnungskaskade. Ein Faktor aktiviert den nächsten. Nur, wenn alle Faktoren aktiv sind, also alle Domino-Steine umfallen, kann eine Wunde verschlossen werden.

Wenn du dich verwundest und blutest, wird im Körper die Blutgerinnung in Gang gesetzt. Zuerst lagern sich Blutplättchen in der Wunde an und verschließen sie. Der von-Willebrand-Faktor verbindet die Blutplättchen miteinander und mit der Gefäßwand. Durch die Aktivierung der Blutplättchen werden dann weitere Gerinnungsfaktoren aktiviert, wodurch sich am Ende ein festes Netz um den Plättchen-Thrombus bildet, damit die Wunde heilen kann.

Bei der Gerinnungskaskade spielen die Faktoren VIII und IX eine wichtige Rolle: Ihre Verminderung oder Abwesenheit führt zu einer eingeschränkten oder stark eingeschränkten Blutgerinnung und generell zu erhöhter Blutungsneigung. Auftretende Wunden schließen sich dann nicht vollständig oder nicht schnell genug, sodass es zu schweren Blutungen kommen kann.

Wo kommt die angeborene Hämophilie vor?

Hämophilie ist ziemlich selten und tritt praktisch ausschließlich bei Jungen bzw. Männern auf. Dies liegt daran, dass der für die Krankheit verantwortliche genetische Defekt auf einem X-Chromosom liegt. Während Männer ein X- und ein Y-Chromosom haben, besitzen Frauen zwei X-Chromosomen. Eines davon ist in der Regel gesund und sorgt für eine ausreichende Produktion funktionsfähiger Gerinnungsfaktoren.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Junge mit Hämophilie A geboren wird, liegt bei etwa 1 zu 4.000 männlichen Geburten. Für die Hämophilie B liegt die Häufigkeit bei etwa 1 zu 20.000 männlichen Geburten. In Deutschland leben insgesamt etwa 6.000 Hämophilie-Patienten. Genauere Daten werden laufend vom Deutschen Hämophilie-Register des Paul-Ehrlich-Instituts erfasst.

Hämophilie A und B – was sind die Unterschiede?

Bei den angeborenen Formen der Hämophilie unterscheidet man zwischen Hämophilie A – hier fehlt Faktor VIII – und Hämophilie B, bei der Faktor IX fehlt. Hämophilie A kommt dabei mit ca. 80% deutlich häufiger vor als Hämophilie B.

Welche Schweregrade gibt es?

Je weniger aktiver Gerinnungsfaktor vom Körper hergestellt werden kann, desto stärker prägt sich die Hämophilie aus. Der Schweregrad wird als prozentuale Abweichung zur normalen Aktivität der Gerinnungsfaktoren VIII bzw. IX angegeben:

Etwa 50% der männlichen Hämophilie-Patienten haben eine schwere Hämophilie.

Symptome

Die typischen Krankheitszeichen hängen vom Schweregrad der Hämophilie ab. Bei schwerer Hämophilie sind bereits bei leichten Verletzungen starke Blutungen typisch, und Wunden hören fast nicht mehr zu bluten auf. Ebenfalls treten Spontanblutungen auf, also Blutungen ohne vorherige Verletzung.

Besonders kritisch bei der Hämophilie sind Gelenkblutungen, denn diese können dauerhafte Schädigungen verursachen und sollten unbedingt vermieden werden. Gelenkblutungen beginnen oft mit einem Kribbeln oder Wärmegefühl und führen dann schnell zu Schmerzen, Schwellungen und eingeschränkter Beweglichkeit. Auf Dauer kann ein Kreislauf von Entzündungen und neuen Einblutungen entstehen.

Wer dagegen nur eine milde Hämophilie hat, kann im alltäglichen Leben fast komplett unauffällig sein. Es treten lediglich häufiger blaue Flecken auf. Bei Menschen mit mittelschwerer aber auch milder Hämophilie sind spontane Blutungen eher selten, allerdings können diese nach Operationen und Unfällen durchaus auch sehr starke Blutungsneigung zeigen.

Wie wird Hämophilie diagnostiziert?

Die Krankheitsvorgeschichte einer Familie ist aufschlussreich: Eine Hämophilie A oder B wird häufig diagnostiziert, wenn die Erkrankung bereits bekannt ist und bei Kindern gezielt danach gesucht wird.

Die richtige Therapieform wird dann über eine Gerinnungsanalyse ermittelt. Die Faktoren VIII und IX sind beide für eine funktionierende Blutgerinnung wichtig, daher sind die Symptome und Krankheitsfolgen bei Hämophilie A und B auch praktisch identisch. Die Kenntnis der jeweils vorliegenden Variante ist daher Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung. Es folgen dann noch weitere Labortests.

Ein betroffenes Kind kann auch zuerst durch Symptome auffallen. Dadurch wird die Hämophilie oft auch bei weiteren Familienmitgliedern diagnostiziert, die bis dahin nichts von ihrer Erkrankung wussten, da sie keine oder nur geringe Symptome zeigten. In etwa einem Drittel der Fälle kommt es auch zu Spontanmutationen des Erbguts ohne vorherige Familienanamnese.

Faktortherapie? Faktor VIII oder Faktor IX sind gefragt!

Durch intravenöse Gabe der fehlenden oder mit zu geringer Aktivität vorhandenen Gerinnungsfaktoren können Menschen mit Hämophilie ein weitgehend unbeschwertes Leben führen. Ziele der Hämophilie-Behandlung sind die wirkungsvolle Blutstillung, Wundheilung und Vermeidung von Folgeschäden, die beispielsweise durch Einblutungen in Gelenke auftreten können.

Die Behandlung und die Kontrolluntersuchungen sollten in einem Hämophiliezentrum durchgeführt werden.

Ein Verzeichnis der Hämophiliezentren in Deutschland findest du auf der Website der  Deutschen Hämophiliegesellschaft.

Im Hämophiliezentrum werden Patienten auch angeleitet, sich selbst zu versorgen. Es kommen mehrere Behandlungsformen zum Einsatz, z.B.:

  • Bedarfsabhängige Behandlung (On-Demand-Therapie): Nur beim Auftreten von Blutungen oder bei Operationen wird der entsprechende Gerinnungsfaktor verabreicht.
  • Vorbeugende (prophylaktische) Behandlung mit Faktorkonzentraten: Der Gerinnungsfaktor wird als Konzentrat regelmäßig, in der Regel zwei- bis dreimal pro Woche verabreicht. Bei manchen langwirksamen Präparaten reicht auch eine wöchentliche Gabe.

Kurz und knapp

  • Bei angeborener Hämophilie ist die Blutgerinnung ohne Therapie lebenslang gestört.
  • Die Ursache ist ein Mangel an wichtigen Eiweißmolekülen im Blut.
  • Bei Hämophilie A ist zu wenig Faktor VIII vorhanden, bei Hämophilie B zu wenig Faktor IX.
  • In Deutschland sind etwa 6.000 Fälle von Hämophilie A und B bekannt.

 


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