Erfahre jetzt, wie du auch in turbulenten Lebensphasen deinen Behandlungsplan konsequent umsetzt.
Wenn die Extraportion Selbstfürsorge schwerfällt
Die meisten Menschen mit schwerer Hämophilie wissen, dass regelmäßige Faktorprophylaxe wichtig ist. Und trotzdem fällt es vielen nicht immer leicht, die Faktorgabe im Alltag umzusetzen. Die Gründe dafür sind ganz verschieden.
Da ist zum Beispiel die Mutter, die es belastet, ihr kleines Kind
regelmäßig mit der Nadel zu piksen. Oder der Teenager, der keine Lust
hat, unter der Woche extra früher aufzustehen. Oder der Familienvater,
der voll im Berufsleben steht und schon genug um die Ohren hat, wenn
er um 7:45 Uhr zwei quengelnde Kleinkinder in die Kita bringt.
Manchmal ist das Leben eben so, dass es kompliziert wird, die
Hämophilie zu Hause zu behandeln. Wir haben Tipps für dich, wie du es
auch in turbulenten Lebensphasen schaffst, an deinem Therapieplan
dranzubleiben. Dazu gleich mehr.
Mikroblutungen merkt man nicht immer
Die Sache ist nämlich die: Bei fehlendem Schutz können in den Gelenken kleine Mikroblutungen entstehen. Die merkst du als Betroffener nicht. Sie können aber ausreichen, um die Gelenke auf Dauer zu beeinträchtigen, denn bereits eine einzige Mikroblutung führt zu Gelenkschäden. Auch die Zahl der sichtbaren Blutungen in die Gelenke kann dann steigen. Beides führt im schlimmsten Fall dazu, dass du die Gelenke auf Dauer nicht mehr richtig bewegen kannst.
Studien zeigen: Wenn du im Rahmen einer
Faktorersatztherapie
regelmäßig Faktor von außen zuführst, dann verringert das sowohl
chronische Mikroblutungen als auch sichtbare Blutungen in die Gelenke.
So kannst du Gelenkschäden aktiv vorbeugen. Aber das weißt du schon.
Deshalb kommen hier noch ein paar Tipps für Zeiten, in denen es dir
trotz aller guten Vorsätze schwerfällt, deinen Therapieplan
umzusetzen. Wenn du deinem Behandlungsplan treu bleibst, nennen
Mediziner das übrigens Adhärenz.
7 Tipps, um deinem Therapieplan treu zu bleiben
Tipp #1 Akzeptanz
Vielleicht wünschst du dir an manchen Tagen die Hämophilie einfach
weg. Solch ein Gedanke ist menschlich. Schließlich hast du dir die
Erkrankung nicht ausgesucht. Die schlechte Nachricht ist die: Die
Hämophilie ist da. Und sie wird – zumindest bis zur Entwicklung
heilender Therapien – auch nicht wieder verschwinden.
Lässt du die Prophylaxe regelmäßig aus, wird die Hämophilie sehr
wahrscheinlich mehr Raum in deinem Leben einnehmen, als du möchtest.
Vielleicht hilft es dir, wenn du dir vorstellst, dass sie so etwas ist
wie eine nervige Bekannte, die immer wieder klingelt. So richtig los
wird man sie nicht, aber wie lange sie am Tag bleibt, kannst du
durchaus beeinflussen.
Tipp #2 Träume
Und jetzt die gute Nachricht: Mit den modernen Behandlungsmethoden
ist schon heute sehr viel möglich. Träume deinen Traum! Was möchtest
du machen? Fußballspielen? Eine Blockhütte bauen? Kfz-Mechaniker
werden? Fallschirmspringen? Alles klar. Gemeinsam mit deinem Arzt
kannst du einen Behandlungsplan aufstellen, der dich deinem Traum
näherbringt.
"Mir wurde schon immer vorgelebt: Die Therapietreue, das Spritzen ist die Grundvoraussetzung dafür, dass du bestimmte Dinge darfst. Mein Tenniswettkampf am Wochenende, den ich gerne gespielt habe und wo der ein oder andere Arzt sich vielleicht nicht so drüber gefreut hätte, ging nur, wenn die Medikamente genommen wurden."
Tobias
Becker, Hämophilie A-Patient und Mitglied des Vorstands der IGH
e.V.
Tipp #3 Der Arzt deines Vertrauens
Wähle einen Arzt, zu dem du Vertrauen hast. Es sollte dir
leichtfallen, mit ihm über alles zu sprechen, was deine Hämophilie
betrifft. Das ist die Grundlage. So könnt ihr zusammen einen
Therapieplan entwickeln, der zu dir und deinen Bedürfnissen
passt.
Tipp #4 Die Vorteile fest im Blick
An manchen Tagen kann es helfen, die Vorteile einer regelmäßigen
Faktorprophylaxe in den Blick zu nehmen:
- Regelmäßige Faktorprophylaxe bedeutet mehr Freiheit für dich. Dein Faktorlevel wird konstanter und du hast mehr Spielraum für Pläne und spontane Aktionen.
- Menschen mit Hämophilie, die sich regelmäßig Faktor spritzen haben weniger Schmerzen, fehlen seltener auf der Arbeit oder in der Schule und haben eine höhere Lebensqualität.
Tipp #5 Das Unangenehme mit dem Angenehmen verbinden
Vielleicht reichen die Vorteile an manchen Tagen nicht aus, um dich
zu motivieren. Denn Spritzen ist nicht angenehm. Für wenig attraktive
Aufgaben im Alltag gibt es einen Trick. Verbinde das Angenehme mit dem
Unangenehmen. Überlege, was dir guttut und gestalte deine persönliche
Prophylaxe-Zeit.
Meditierst du gern? Freust du dich über gute Musik? Oder ist der
neueste Fußballpodcast genau dein Ding? Dann kommen hier ein paar
Ideen: Erstelle eine Prophylaxe-Playlist und lass dich per
Zufallswiedergabe von deinem Lieblingssound begleiten. Nutze die Zeit
des Spritzens als Auszeit von deinen anderen Alltagsverpflichtungen.
Lausche der aktuellen Podcast-Folge oder meditiere fünf Minuten davor
oder danach. Was auch immer zu dir passt: Pimp your injection.
Tipp #6 Schwierigkeiten anerkennen
Du merkst, es fällt dir wirklich sehr schwer, die Prophylaxe
regelmäßig umzusetzen. Auch nach mehreren Anläufen schlägt der innere
Schweinehund dir immer wieder ein Schnippchen. Gräm dich nicht. Das
kann bedeuten, dass dein Therapieplan möglicherweise noch besser an
deine Bedürfnisse angepasst werden muss. Oder du brauchst eventuell
noch etwas mehr Anleitung.
Vielleicht ist ein Medikament, das man seltener verabreichen muss,
die passende Lösung. Vielleicht gibt dir auch eine Schulung zum Thema
„Spritzen“ neuen Schwung. Hier lernst du andere Menschen mit ähnlichen
Problemen kennen und du kannst dich austauschen. Möglicherweise könnt
ihr euch gegenseitig mit eigenen Ideen voranbringen und so die Dinge,
die nerven, einfach aus dem Weg räumen. Versuch herauszufinden, was
deinen Widerstand auslöst. Sicher kann dein Arzt dir dabei helfen,
neue Wege zu gehen.
Tipp #7 Felsblöcke aus dem Weg räumen
Manchmal ist eine schöne Playlist oder eine Schulung einfach nicht
genug. Manche Menschen mit chronischen Erkrankungen erleben im Alltag
Ängste und depressive Verstimmungen. Und die können einer regelmäßigen
Faktorprophylaxe im Weg stehen wie zwei riesige, graue Felsblöcke.
Falls du merkst, dass Anspannung, Angst oder Niedergeschlagenheit dich
immer wieder begleiten, zögere nicht, dir Unterstützung zu holen.
Mehr dazu erfährst du im Artikel:
Ich
bin doch kein Psycho .
Das Gute daran: Mit etwas Hilfe kannst du nicht nur Seele und Geist stärken, sondern auch deinen Körper. Und die regelmäßige Faktorgabe wird wieder einfacher.