Schmerzen und Hämophilie im Kindesalter

Es ist nicht immer einfach zu erkennen, was genau einem weinenden Baby oder Kleinkind fehlt. Denn ein kleiner Mensch, der noch keine Worte hat, äußert Unwohlsein fast immer gleich – mit Quengeln oder Weinen. Die Ursachen für das Unbehagen können vielfältig sein: Kälte, Wärme, Müdigkeit, Hunger, Überreizung oder auch Schmerzen.

Weil Babys nicht sprechen können, ist es besonders wichtig, dass die Menschen um sie herum verstehen, wenn ihnen etwas wehtut. Und vor allen Dingen wie sehr. Weil das in der sogenannten präverbalen Phase besonders schwierig ist, haben Mediziner verschiedene Skalen entwickelt, die es Eltern, Ärzten und Betreuern erleichtern, auch ohne Worte herauszufinden, wie es einem Baby oder Kleinkind geht. Wir zeigen, wie du bei Kindern eine Blutung erkennst und wie du die Schmerzintensität beurteilen kannst.

Wann können Babys und Kinder mit Hämophilie Schmerzen haben?

Neugeborene Babys mit Hämophilie haben nicht unbedingt mehr Schmerzen als andere Kinder auch. Da sie sich noch nicht viel bewegen, ist die Verletzungsgefahr relativ gering. Für einen schmerzfreien Start ins Leben ist bei Hämophilie allerdings ein reibungsloser und verletzungsfreier Geburtsverlauf wichtig. Der wird wahrscheinlicher, wenn Eltern und Ärzte vor der Geburt über die Hämophilie Bescheid wissen.

Etwa mit dem Ende des ersten Lebensjahrs werden Babys mobiler. Dann steigt auch die Verletzungsgefahr. Ab dem Krabbelalter können sich Blutungen in den Gelenken, Muskeln, Weichteilen und Schleimhäuten mehren. Diese Verletzungen können zum Teil sehr starke Schmerzen verursachen. Blaue Flecken, Blutungen im Mund und Rachen sowie Gelenkblutungen lassen sich im Kleinkindalter ohne die passende Prophylaxe fast nicht vermeiden. Ob dein Kind prophylaktisch Faktorpräparate erhalten soll und wann ein guter Zeitpunkt für den Einstieg ist, solltest du mit dem behandelnden Hämophiliespezialisten klären. Mehr dazu erfährst du in dem Artikel Medikamentöse Therapie bei Hämophilie A und B.

Wichtig ist, dass sich dein Kind bewegen darf wie ein Kind mit gesunder Blutgerinnung auch. Es muss die Bewegungsabläufe lernen dürfen. Nur so kann es sicherer werden und die Zahl der Stöße und Stolperunfälle sinkt.

So erkennst du eine akute Gelenkblutung

Bei einem Kind mit Hämophilie kann ein leichter Sturz ausreichen, um eine Blutung zum Beispiel im Knie oder Ellenbogen auszulösen. Eine Gelenkblutung erkennst du an den folgenden Symptomen:

  • Das Gelenk schwillt an und wird warm
  • Das Kind schont das Gelenk, wenn es sich bewegt. Vielleicht hinkt es oder zeigt andere Bewegungsauffälligkeiten.
  • Das Kind vermeidet es, das Gelenk überhaupt zu bewegen.
  • Das Kind zeigt deutliche Anzeichen für Schmerzen und körperliches Unwohlsein.

So erkennst du eine Muskelblutung

Wenn ein Kind mit Hämophilie sich stößt oder hinfällt, können Blutungen in den Muskeln, zum Beispiel in Armen, Beinen, Po oder in den Bauchmuskeln, entstehen. Dabei treten häufig folgende Beschwerden auf:

  • Die Blutungsstelle wird warm und schwillt an.
  • Manchmal zeigen sich Muskelblutungen durch Blutungen in der Haut (blaue Flecken).
  • Das Kind hinkt oder zeigt andere Bewegungsauffälligkeiten.
  • Das Kind zeigt Widerwillen, den betroffenen Körperteil überhaupt zu benutzen.
  • Die betroffene Körperstelle wird taub.
  • Das Kind zeigt deutliche Anzeichen für Schmerzen und körperliches Unwohlsein (heftige und plötzliche Schmerzen deuten darauf hin, dass durch die Schwellung Druck auf einen Nerv ausgeübt wird).

So erkennst du eine innere Blutung

Wenn ein Kind mit Hämophilie einen Unfall erleidet, kann es in sehr seltenen Fällen zu einer Blutung im Kopf oder in den inneren Organen kommen. Wenn du zum Beispiel nach einem Sturz auf den Kopf eines oder mehrere der folgenden Symptome bei deinem Kind beobachtest, solltest du sofort medizinische Hilfe in Anspruch nehmen:

  • Erbrechen
  • Durchfall
  • Blutiges Erbrechen oder blutiger Durchfall
  • Sehr starke Kopf- oder Bauchschmerzen

Schmerzen verstehen mit der KUS-Skala

Schmerzen sind immer subjektiv. Das heißt, beim Thema Schmerz gibt es kein Richtig oder Falsch. Sondern nur den Ort, die Art und die Intensität, in der jemand Schmerzen wahrnimmt. Auch die Art, wie jemand den Schmerz ausdrückt, ist wichtig.

Wenn du wissen möchtest, wie stark die Schmerzen sind, die dein Baby oder Kleinkind erlebt, dann kann dir die Kindliche Unbehagens- und Schmerzskala (KUS-Skala, kurz KUSS) weiterhelfen. Sie eignet sich für Kinder vom Neugeborenenalter bis etwa vier Jahre. Um herauszufinden, wie es deinem Kind geht, gibst du für verschiedene körperliche Aspekte Werte an. Die Skala fragt ab, ob und wie dein Kind weint, welchen Gesichtsausdruck es hat, wie es seinen Rumpf hält, was die Beine machen und ob es körperlich unruhig ist. Du solltest dein Kind für jede Frage mindestens 15 Sekunden lang beobachten. Pro Frage ist nur eine Antwort möglich. Am Ende werden alle Punkte addiert. Kommst du auf mehr als vier Punkte, ist es wahrscheinlich, dass dein Kind behandlungsbedürftige Schmerzen hat. Je höher der Wert, desto dringender ist der Handlungsbedarf.

Die Smiley-Analog-Skala

Die Smiley-Analog-Skala eignet sich für Kinder ab vier Jahren. Wenn du das Gefühl hast, dass dein Kind Schmerzen hat, kannst du ihm die folgende Skala vorlegen:

 

Die Smileys helfen dem Kind mitzuteilen, wie stark die Schmerzen sind. Um herauszufinden, wie es ihm geht, solltest du erklären, dass das linke Gesicht zeigt, dass gerade gar keine Schmerzen da sind. Die Gesichter daneben zeigen, dass es wehtut und zwar jedes Gesicht ein bisschen mehr. Das Gesicht ganz rechts zeigt, dass sehr große Schmerzen da sind. Dann kannst du dein Kind fragen, ob es dir auf der Skala zeigen kann, wie groß seine Schmerzen in diesem Moment sind. Es ist wichtig, dass du dabei von „schmerzen“ oder „wehtun“ sprichst und nicht von „fröhlich, glücklich oder traurig“.

Hör auf dein Bauchgefühl

Eine medizinische Skala ist für den Arzt ein wichtiges Instrument, um schnell zu erkennen, wie es deinem Kind geht. Vielleicht trifft er es zum ersten Mal und muss innerhalb von Sekunden oder Minuten entscheiden, was zu tun ist. Auch für Eltern sind Skalen ein hilfreiches Mittel, um Ursachenforschung zu betreiben. Und trotzdem ersetzen sie nicht dein Bauchgefühl. Es ist dein Kind. Du kennst es von Geburt an. Wenn dir deine Intuition sagt, dass etwas nicht stimmt, dann solltest du darauf vertrauen und einen Arzt aufsuchen.

Kinder richtig verstehen

Kinder, die gerade sprechen gelernt haben, freuen sich über die neu gewonnenen Fähigkeiten. Und probieren sie aus. Es ist schließlich spannend zu erfahren, ob „ja“ auch „nein“ bedeuten kann. Ob „aua!“ das gleiche ist wie „heiß“. Oder zu sehen, was passiert, wenn man die gleiche Frage abwechselnd mit „ja“ und „nein“ beantwortet. Manche kleinen Kinder antworten immer. Auch wenn sie eigentlich gar nicht verstanden haben, was du gerade gefragt hast. Will sagen: In den ersten Lebensjahren sind die Selbstauskünfte nicht immer ganz so zuverlässig, wie es sich die Erwachsenen vielleicht wünschen würden. Selbst dann, wenn das Kind bereits recht eloquent ist und viel spricht. Um herauszufinden, wie es deinem Kind geht, solltest du deshalb immer mehrere Punkte beachten: Sprache, Körpersprache und Verhalten.

So werden Schmerzen behandelt

Die Schmerztherapie bei Hämophilie setzt sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen. Die erste und wichtigste Option, um den Schmerz bei einer akuten Blutung zu lindern, ist in den meisten Fällen die Gabe eines passenden Faktorpräparats. Damit wird die Blutung gestillt, die Schwellung reduziert und auch der Schmerz lässt nach. Bei chronischen oder schweren Schmerzen besteht darüber hinaus die Möglichkeit, Schmerzmittel einzusetzen. Allerdings sind bei Hämophilie viele der gängigen Schmerzmittel nicht geeignet, da sie Einfluss auf die Blutplättchen nehmen und eine Blutung sogar verschlimmern können. Bevor du deinem Kind Schmerzmittel gibst, solltest du unbedingt mit dem behandelnden Arzt klären, welches Medikament geeignet ist.

Neben den medikamentösen Möglichkeiten können auch Massagen, Coolpacks, Hochlagern oder Druckverbände bei akuten Schmerzen Erleichterung bringen. In dem Artikel Dos and Don’ts nach einer Gelenkblutung findest zu Informationen, wie du bei einer akuten Gelenkblutung erste Hilfe leisten kannst.

Wärme, Hautkontakt, Getragenwerden, Ruhe, Wiegen und Schaukeln, Trost und Ablenkung sind weitere Helfer, die bei akuten und wiederkehrenden Schmerzen nicht fehlen dürfen. Ein Schnuller, ein schönes Buch, eine warme Kuscheldecke, ein Stofftier – bei schmerzenden Gelenken oder Muskeln ist es heilsam, wenn du deinem Kind viel Geborgenheit gibst.

Cropped shot of a young woman reading to her son at home

Schmerzen bei medizinischen Maßnahmen

Nicht nur die Hämophilie selbst macht Schmerzen. Manchmal ist es so, dass medizinische Maßnahmen, die den Schmerz und die Krankheit bessern, wehtun. Injektionen und Blutentnahmen zählen zum Beispiel dazu. Und die lassen sich bei Hämophilie leider nicht vermeiden. Damit dein Kind die Behandlung gut übersteht, können die folgenden Tipps helfen:

  • Versuche Ruhe und Zuversicht auszustrahlen. Es ist ganz normal, dass du auch aufgeregt oder angespannt bist, wenn du weißt, dass dein Kind etwas Schmerzhaftes erleben wird. Du kannst ihm aber helfen, wenn du dich darauf konzentrierst, dass der Schmerz gleich wieder vorbei ist und zu seinem Wohl passiert. Diese Gedankenkraft beruhigt den kleinen Menschen auf deinem Arm.
  • Schaffe ein Ritual rund um das unangenehme Erlebnis. Vielleicht macht ihr immer davor oder danach etwas Schönes zusammen.
  • Beziehe dein Kind in das Geschehen mit ein. Erkläre ihm, was passiert. Auch dann, wenn es noch zu klein ist, um dich zu verstehen.
  • Mache mit deinem Kind eine Fantasiereise, während ihr euch auf die Behandlung einstellt.
  • Wenn du zu Hause selbst behandelst: Schaffe eine schöne Atmosphäre. Aber spritze dein Kind nicht auf dem Bett oder im Kinderzimmer. Das sind Sicherheitszonen.
  • Wenn dein Kind schon älter ist, bieten sich altersgerechte Ablenkungsstrategien an. Musik, PC-Spiele, Comics & Co. können es deinem Kind erleichtern, die unangenehme Prozedur in den Alltag zu integrieren.
  • Finde heraus, welche Entspannungsübung deinem Kind hilft (zum Beispiel Kinderyoga oder autogenes Training).

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